Nach acht Bier und vier Cuba Libre
auf den Fußballplatz
Seit über 30 Jahren kämpfe ich auf
Berlins Fußballplätzen. Sonntags früh
ist der größte Gegner oft der
durchzechte Abend zuvor. Doch ich
habe Überlebensstrategien entwickelt.
Ganz entscheidend ist die 20-100-
Formel.
Ich taumelte, fiel und ließ mir den
vergangenen Abend, der vier Stunden
vor dem Anstoß geendet hatte, in der
zweiten Spielminute noch einmal durch
den Kopf gehen. Es war ein unwürdiges
Schauspiel, das sich da auf dem
Anstoßpunkt abspielte. Ich übergab
mich mitten auf den Platz. Dass wir
auf einem Kunstrasen spielten, machte
die Sache für alle Beteiligten nicht
gerade besser. Unwürdig, aber
erwartbar – wer mit geschätzten 1,78
Promille Restalkohol ins Spiel geht,
muss einfach mit dem Schlimmsten
rechnen. Amateurfußball ist nicht nur
immer ein Kampf gegen den Ball und
Gegner, sondern manchmal auch gegen
den Alkohol, den Kater und die
Vernunft.
Das Freitagstraining vor dem besagten
Spiel endete wie immer mit einer
kurzen Ansprache des Trainers. Wer
darf mitkommen, wer hat es nicht in
den Kader geschafft, denkt bitte an
beide paar Schuhe (Kunstrasen und
18er-Alu), wer hat den Medizinkoffer
– die Inhalte blieben über Jahrzehnte
unverändert und werden auch noch in
100 Jahren dieselben sein.
"Spätestens nach dem Sportstudio
geht’s ins Bett. Versprochen,
Trainer!“ Und dann kam doch wieder
alles anders
Ich wusste schon vorher, dass es eine
ganz schlechte Idee war. Doch es gab
kein Zurück mehr. Ich stand im
Mittelkreis und konnte nicht mehr
entkommen – der Abschlag des Torwarts
kam genau auf mich zu. Der Ball
senkte sich wie ein Stein und nahm
direkt Kurs auf meinen schmerzenden
Kopf. Zur Seite springen wäre nur
beim Völkerball in der 8a akzeptabel
gewesen. Nicht aber jetzt und hier.
Also stellte oder besser gesagt
wankte ich mich der Aufgabe und
köpfte den Ball zurück in die Hälfte
des Gegners. Der Einschlag an meiner
Stirn war gigantisch, es schepperte
so richtig zwischen den Ohren.
Ich taumelte, fiel und ließ mir den
vergangenen Abend, der vier Stunden
vor dem Anstoß geendet hatte, in der
zweiten Spielminute noch einmal durch
den Kopf gehen. Es war ein unwürdiges
Schauspiel, das sich da auf dem
Anstoßpunkt abspielte. Ich übergab
mich mitten auf den Platz. Dass wir
auf einem Kunstrasen spielten, machte
die Sache für alle Beteiligten nicht
gerade besser. Unwürdig, aber
erwartbar – wer mit geschätzten 1,78
Promille Restalkohol ins Spiel geht,
muss einfach mit dem Schlimmsten
rechnen. Amateurfußball ist nicht nur
immer ein Kampf gegen den Ball und
Gegner, sondern manchmal auch gegen
den Alkohol, den Kater und die
Vernunft.
Das Freitagstraining vor dem besagten
Spiel endete wie immer mit einer
kurzen Ansprache des Trainers. Wer
darf mitkommen, wer hat es nicht in
den Kader geschafft, denkt bitte an
beide paar Schuhe (Kunstrasen und
18er-Alu), wer hat den Medizinkoffer
– die Inhalte blieben über Jahrzehnte
unverändert und werden auch noch in
100 Jahren dieselben sein.
Auch nach den beiden letzten Sätzen
kann man stets die Uhr stellen:
„Jungs, Sonntag ist wirklich ein
wichtiges Spiel. Macht also bitte
ruhig am Wochenende!“ Er bekam wie
immer das zu hören, was er wollte:
„Klar Trainer. Was denn sonst? Alles
für den Aufstieg. Spätestens nach dem
Sportstudio geht’s ins Bett,
versprochen.“
Blickkontakt mit dem Trainer
unbedingt vermeiden
Keine 36 Stunden später schaut der
arme Übungsleiter in der Kabine dann
zumeist in die toten Augen von
London. Während die einen noch am
Waschbecken verzweifelt versuchen,
den Stempel aus der Disko
wegzurubbeln, kämpfen andere mit der
Gesamtsituation. Dass es zumeist nur
eine Toilette gibt, stellte die
Hierarchie im Team fast jeden
Sonntagmorgen auf eine harte Probe.
Gewonnen hat, wer den Platz hinten in
der Ecke am Fenster möglichst weit
weg vom Trainer hatte. Immerhin
liegen dann vier Meter zwischen der
eigenen Fahne und der Gefahr, wegen
acht Bier und vier Cuba Libre nur auf
der Bank zu sitzen. Ganz gleich wie
verkatert ich bin – wenn ich mich
schon sonntags um neun aus dem Bett
gequält habe, dann will ich auch
spielen. Zumal Bewegung wirklich
hilft.
Bei der Begrüßung eine Stunde vor dem
Anstoß ist es daher wichtig, die
freie Hand vor den Mund zu halten und
kurz vor dem „Guten Morgen“ den Kopf
zur Seite zu drehen. Ich hoffe dann
immer, dass der Trainer denkt, ich
sei schon auf das Spiel fokussiert
und voll im Tunnel. Neben möglichst
unauffälligem Verhaltens gilt meine
zweite Sorge und die einiger
Mitspieler dann der Brandbekämpfung -
die Halbzeitgetränke sind oft schon
vor dem Aufwärmen geleert.Bei der
Begrüßung eine Stunde vor dem Anstoß
ist es daher wichtig, die freie Hand
vor den Mund zu halten und kurz vor
dem „Guten Morgen“ den Kopf zur Seite
zu drehen. Ich hoffe dann immer, dass
der Trainer denkt, ich sei schon auf
das Spiel fokussiert und voll im
Tunnel. Neben möglichst unauffälligem
Verhaltens gilt meine zweite Sorge
und die einiger Mitspieler dann der
Brandbekämpfung - die
Halbzeitgetränke sind oft schon vor
dem Aufwärmen geleert.
Wer sich aber eine Dreiviertelstunde
vor dem Anpfiff in der Kabine an
einer sonntäglichen Aufback-Brezel
aus dem Backshop im U-Bahnhof
abarbeitet, ist aber überführt – er
war so spät wie möglich aufgestanden,
hatte keine Zeit mehr zu frühstücken
und war eigentlich noch ein paar
Stunden davon entfernt, feste Nahrung
zu sich zu nehmen. War der Trainer
außer Sicht- und Hörweite, haben wir
Heldengeschichten vom Vorabend
ausgetauscht. Sie begannen eigentlich
alle mit dem Satz „eigentlich wollte
ich um elf gehen, aber dann...“.
Im Vergleich zu mir an diesen Tagen,
war der lustlose Ailton ein Quell der
Motivation, wenn er sich auf seine
Einwechslung vorbereitete. Die
meisten Dehnübungen verlege ich dann
in die Horizontale. Ich lege die
Fußsohlen aneinander und tue so, als
würde ich mit den Ellenbogen die Knie
nach außen drücken. Wichtig ist
dabei, ein angestrengtes Gesicht zu
machen. Wie auch beim obligatorischen
Steigerungslauf über den gesamten
Platz kurz vor dem Gang in die
Kabine: Mit den Füßen 20, mit dem
Gesicht 100 Prozent geben – eine ganz
einfache Überlebensformel.Wer sich
aber eine Dreiviertelstunde vor dem
Anpfiff in der Kabine an einer
sonntäglichen Aufback-Brezel aus dem
Backshop im U-Bahnhof abarbeitet, ist
aber überführt – er war so spät wie
möglich aufgestanden, hatte keine
Zeit mehr zu frühstücken und war
eigentlich noch ein paar Stunden
davon entfernt, feste Nahrung zu sich
zu nehmen. War der Trainer außer
Sicht- und Hörweite, haben wir
Heldengeschichten vom Vorabend
ausgetauscht. Sie begannen eigentlich
alle mit dem Satz „eigentlich wollte
ich um elf gehen, aber dann...“.
Im Vergleich zu mir an diesen Tagen,
war der lustlose Ailton ein Quell der
Motivation, wenn er sich auf seine
Einwechslung vorbereitete. Die
meisten Dehnübungen verlege ich dann
in die Horizontale. Ich lege die
Fußsohlen aneinander und tue so, als
würde ich mit den Ellenbogen die Knie
nach außen drücken. Wichtig ist
dabei, ein angestrengtes Gesicht zu
machen. Wie auch beim obligatorischen
Steigerungslauf über den gesamten
Platz kurz vor dem Gang in die
Kabine: Mit den Füßen 20, mit dem
Gesicht 100 Prozent geben – eine ganz
einfache Überlebensformel.
Der kalte Schweiß läuft ja eh von
ganz alleine, auch beim liegenden
Dehnen. Wenigstens ist mir nie dabei
das unterlaufen, was unserem Stürmer
vor zwei Jahren passiert ist. Er
hatte zwar schon angekündigt, dass er
am Abend vor dem Spiel bei einem
Junggesellenabschied vielleicht mehr
als eine Weinschorle trinken würde.
Aber dass er während der Dehnübungen
im Strafraum einschlief, ist bisher
unerreicht. Nicht einmal der
Mitspieler, der wegen der acht
Weizen, die ihm auf den Magen
drückten und den Weg allen Irdischen
gehen wollten, eine Zerrung
vortäuschte und sich in der 30.
Minute auswechseln ließ, kommt an den
Strafraum-Schläfer heran.Der kalte
Schweiß läuft ja eh von ganz alleine,
auch beim liegenden Dehnen.
Wenigstens ist mir nie dabei das
unterlaufen, was unserem Stürmer vor
zwei Jahren passiert ist. Er hatte
zwar schon angekündigt, dass er am
Abend vor dem Spiel bei einem
Junggesellenabschied vielleicht mehr
als eine Weinschorle trinken würde.
Aber dass er während der Dehnübungen
im Strafraum einschlief, ist bisher
unerreicht. Nicht einmal der
Mitspieler, der wegen der acht
Weizen, die ihm auf den Magen
drückten und den Weg allen Irdischen
gehen wollten, eine Zerrung
vortäuschte und sich in der 30.
Minute auswechseln ließ, kommt an den
Strafraum-Schläfer heran.
Im Spiel ist es dann schwierig, mit
der 20:100-Formel zu überleben. Auch
wenn meine Gegenspieler oft
verräterische Stempel am Handgelenk
haben. So stark Herz und Kopf nach
dem ersten längeren Sprint auch
pochen, so schnell verschwindet der
Kater aber auch. Wenn der Vorabend
nicht komplett eskaliert ist,
bewirkten die Bewegung an der
frischen Luft, drei Liter Wasser vor
dem Anpfiff und die salzige Brezel
aus dem Backshop oft Wunder.
Ab der 20. Minute erlebten viele
Spieler ein Wunder der Frische. Auf
einmal geht es. Übrigens auch im
denkwürdigen Spiel, in dem ich mich
im Mittelkreis verewigt habe. Trotz
des 2:0 und einer Auswechslung erst
zehn Minuten vor dem Abpfiff habe ich
aber jegliches Siegerbierchen nach
dem Spiel abgelehnt.
Von Stephan Flohr
Welt
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